„Dranbleiben“ an den Ergebnissen der ForuM-Studie zur „Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der ev. Kirche und Diakonie“ wollen die Kooperationsgemeinden St. Matthäus, St. Stephan und Erlöser. Dazu haben sie am 16. Oktober 2024 in die KUFA eingeladen, um sowohl den Gemeindemitgliedern wie auch der interessierten Öffentlichkeit Gelegenheit für Information und Austausch zu geben sowie Hilfsangebote und weitere Maßnahmen vorzustellen.
Etwa 50 Teilnehmende haben diese Einladung interessiert angenommen.
Wichtig war der Planungsgruppe, dass es sich dabei nicht um eine vorrangig kirchliche Veranstaltung handelt. Daher wurden gezielt unabhängige Expert*innen und Forschende gesucht und sowohl die Räumlichkeit als auch die Moderation außerhalb kirchlicher Kreise angefragt.
Durch den Verlauf des Abends führte Moderator Dr. Florian Mayer, der zunächst Sabine Wallner, Soziolog*in am IPP in München und Mitglied der Forschungsgruppe, aus Frankreich zugeschaltet, begrüßen durfte.
In einem Einführungsvortrag, der allen Anwesenden zunächst eine gemeinsame Grundlage verschaffte, stellte Sabine Wallner die zentralen Ergebnisse der ForuM-Studie vor und formulierte Handlungsempfehlungen, insbesondere für die Kirchengemeinden. Denn ein großes Risiko liegt in den informellen Strukturen in den Gemeinden. Dies gilt nicht nur für die Taten selbst, sondern auch für den weiteren Umgang mit ihnen: Denn die Gewalt selbst werde oft als weniger problematisch wahrgenommen als die Aufdeckung der Gewalt. Durch Nicht-Glauben und Schuldumkehr werden Betroffenen oder Zeug*innen die Glaubwürdigkeit abgesprochen und gemeldete Vorkommen nicht selten informell bagatellisiert. Eine gemeinsame Wahrnehmung über das Geschehene, die Grundlage für gelungene Aufarbeitung ist, werde so verhindert.
Auf dem Podium trugen anschließend Dekanin Sabine Hirschmann, Prof. Dr. Regina Fritz (Ev. Hochschule Nürnberg), Elke Habermeier (Ansprechperson im Schutzkonzept), Pfarrer Walter Neunhoeffer sowie Sophia aus der gemeindlichen Jugendarbeit ihre Perspektiven bei. Eine Herausforderung ist z.B., wie Kirche einerseits Nähe und Geborgenheit insbesondere für Kinder und Jugendliche erfahrbar machen kann, ohne dadurch andererseits „Schutzräume“ für Täter zu schaffen, findet Pfarrer Neunhoeffer. Schon die Konfi-Teamer*innen werden für solche Fragen geschult. „Auf Spiele, die keine Rücksicht auf die persönlichen und oft sehr unterschiedlichen Bedürfnisse nach Distanz nehmen, verzichten wir inzwischen im Konfi-Unterricht“, berichtet Konfi-Teamerin Sophia nach ihrer „Weitblick“-Schulung.
Und Dekanin Hirschmann brachte ein: "Die Studie mit ihren erschreckenden Ergebnissen hat die Dringlichkeit der Arbeit am Schutz vor sexualisierter Gewalt auf allen Ebenen bestätigt und befördert. Danach kann niemand mehr das Bestehen des Problems leugnen oder kleinreden. Es ist notwendig und gut, dass die landeskirchliche Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt umfassende Unterstützung für Betroffene bereithält, Beratung und Schulung zur Prävention und einen Leitfaden im Interventionsfall. Im Leitfaden ist verpflichtend geregelt, wie ich mich als Dienstvorgesetzte im Verdachtsfall und bei Vorfällen zu verhalten habe. Dabei spielt die Meldestelle eine wichtige Rolle."
Sabine Wallner hakte nach: Ist die Meldestelle eine kirchliche Einrichtung? Sind die dort tätigen Juristinnen selbst im Umgang mit sexualisierter Gewalt geschult?
Ferner standen Vertreterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen, der in Bamberg eine wichtige Anlaufstelle für Frauen in Not ist, des allgemeinen Opferschutzes „Weißer Ring“ sowie eine Psychotherapeutin als Expertinnen im Publikum für Rückfragen und Information zur Verfügung und brachten sich engagiert ein.
Die abschließenden Worte hatte jedoch Sabine Wallner: „Nehmen Sie die Forschung ernst!“, appelliert sie. „Betreiben Sie nicht nur Nachsorge, sondern fangen Sie an, die bestehenden Narrative, Strukturen und Denkmuster von Grund auf zu hinterfragen! Denn Grenzüberschreitungen begegnen wir überall, und wir werden nicht selten schon von klein auf dagegen desensibilisiert: Wenn ein Kind, das dem Bussi der Oma ausweicht, gesagt bekommt, es solle sich nicht so anstellen, das sei doch lieb gemeint, werden schon früh instinktive Wahrnehmungen des Kindes missachtet; und dass es sie zum Ausdruck bringt, wird hier nicht ernst genommen, sondern ignoriert. Diese früh eingeprägten Denk- und Verhaltensmuster sollte man am besten ganz neu denken lernen.“
Lange blieben die Teilnehmenden auch nach Ende der Veranstaltung, um sich zu offenen Fragen auszutauschen oder ihre Sorgen, Wünsche, Kritik oder Erwartungen an einer Pinnwand zu dokumentieren. Diese verstehen die Gemeinden als Auftrag für die weitere Arbeit, denn obwohl sich kirchliche Strukturen zur Aufarbeitung und Prävention sexuellen Missbrauchs wandeln, ist die Vorstellung eine Illusion, dass wir das Thema irgendwann abschließen können. „Dranbleiben“ am Thema Missbrauch und dessen Prävention müssen, wollen und werden wir auch weiterhin.